Kastendetermination: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine der Kernfragen in der Forschung über soziale Insekten befasst sich mit den Ursachen und Mechanismen der Kastendifferenzierung, mit der Kastendetermination. Aus dem Vorstehenden  ist  zu  erkennen,  dass  man  zwischen  einer  gestaltlichen Differenzierung  (Morphendetermination) und  der eigentlichen Kastendetermination, der funktionellen Zuordnung, unterscheiden muss. Die Mehrzahl der Arbeiten über Kastendetermination untersucht die Faktoren für die Entstehung der verschiedenen Morphen. Sehr häufig übernehmen diese zwar die ihrer Gestalt entsprechende Funktion, doch werden zunehmend Beispiele bekannt, wo die Funktion erst später festgelegt wird und durchaus nicht dem morphologischen Erscheinungsbild entsprechen muss.
Eine der Kernfragen in der Forschung über soziale Insekten befasst sich mit den Ursachen und Mechanismen der Kastendifferenzierung, mit der Kastendetermination. Aus dem Vorstehenden  ist  zu  erkennen,  dass  man  zwischen  einer  gestaltlichen Differenzierung  (Morphendetermination) und  der eigentlichen Kastendetermination, der funktionellen Zuordnung, unterscheiden muss. Die Mehrzahl der Arbeiten über Kastendetermination untersucht die Faktoren für die Entstehung der verschiedenen Morphen. Sehr häufig übernehmen diese zwar die ihrer Gestalt entsprechende Funktion, doch werden zunehmend Beispiele bekannt, wo die Funktion erst später festgelegt wird und durchaus nicht dem morphologischen Erscheinungsbild entsprechen muss.
'''Hier sind ein paar Bilder zur Verdeutlichung der Kastenunterschiede:'''
[[bild:Leptothorax acervorum Gyne.jpg]].
Bild 1: Morphe: Gynomorphe (Gyne, entflügeltes Weibchen, falls begattet und Eier legend: Königin) von Leptothorax acervorum in Seitenansicht. V = Stummel des Vorderflügels; H = Stummel des Hinterflügels.
[[bild:Leptothorax sp. Arbeiterin.jpg]].
Bild 2: Morphe: Ergatomorphe (meist unbegattet und nicht Eier legend, Kaste: Arbeiterin) von Leptothorax sp. (noch unbeschriebene Art, nahe L. acervorum) in Seitenansicht: Der Thorax ist gegenüber dem der Gyne deutlich vereinfacht.
[[bild:Leptothorax sp. Männchen.jpg]].
Bild 3: KEINE Kaste: Männchen von Leptothorax sp. (unbeschrieben).
[[bild:Camponotus Gyne Thorax.jpg]].
Bild 4: Entflügelte Gynomorphe („Königin“) von Camponotus ligniperda, Thorax in schräger Seitenansicht (Kopf wäre links). Angezeigt sind einige auffällige Strukturen, die bei der Arbeiterin zumeist fehlen: Pn = das Pronotum (1. Thoraxsegment), an dem unten die Vorderbeine ansetzen. Bei Arbeiterin vorhanden. Mesonotum: Das lange Rückenteil des 2. Thoraxsegments = Mesothorax. Mt: Metanotum, sehr kurzes Rückenteil des 3. Thoraxsegments. Ep = Epinotum, das mit dem Thorax fest verwachsene 1. Hinterleibssegment (auch: Propodeum; Mittelsegment). V - - v = Stummel des Vorderflügels, so wie er beim normalen Flügelabwurf stehen bleibt, sitzt am Mesonotum. < H > = Stummel des Hinterflügels (sitzt am Metanotum).


'''Die ernährungesbedingte (trophogene) Kastendetermination'''
'''Die ernährungesbedingte (trophogene) Kastendetermination'''

Version vom 9. Juni 2006, 16:31 Uhr

Was sind Kasten, was versteht man unter Kastendetermination?

Das entscheidende Merkmal eusozialer („echt sozialer“) Insekten ist das Auftreten fertiler neben ganz oder teilweise sterilen Individuen, eine Entkopplung von Fortpflanzung und Brutpflege. Traditionell bezeichnet man die reproduktiven Individuen als Königinnen (bei Termiten gibt es auch Könige), die nicht sexuell aktiven Helfer werden Arbeiter/innen genannt. Geschlechtstiere einerseits und Arbeiter/innen andererseits sind die Kasten im Insektenstaat. Bei Termiten treten Kasten in beiden Geschlechtern auf, bei Hautflüglern, also auch Ameisen, nur im weiblichen Geschlecht. Gelegentlich werden Hymenopteren-Männchen als eigene Kaste dargestellt, was aber falsch ist.

Bei den meisten eusozialen Arten ist neben der Funktion auch die Gestalt der Kasten verschieden, es liegt ein Kastenpolymorphismus vor. Geschlechtstiere sind meist größer als Arbeiter/innen, die ihrerseits spezialisierte Mandibeln, reduzierte Gonaden, eine anders differenzierte Drüsenausstattung etc. haben können. Am auffälligsten unterscheiden sich die immer flügellosen Arbeiterkasten bei Ameisen und Termiten von den im Jugendstadium geflügelten Geschlechtstieren. Eine alternative Interpretation bezeichnet als Kasten die gestaltlich verschiedenen Formen, deren Differenzierung im Larvenstadium eingeleitet wird, ohne Rücksicht auf die Funktion in der Kolonie. Dies führt jedoch zu verwirrenden Konsequenzen, da primitiv eusoziale Bienen und Wespen dann trotz reproduktiver Arbeitsteilung keine Kasten haben, und manche Ameisen, besonders Ponerinen, bei denen die Königinnen sekundär flügellos und den morphologischen Arbeiterinnen sehr ähnlich geworden sind, werden königinlos genannt (vgl. Diacamma).

Im Folgenden wird für Ameisen die funktionelle Kastendefinition verwendet. Wo eine morphologische Unterscheidung erforderlich wird, bezeichnet Gynomorphe (oft auch kürzer „Gyne“ genannt, von englisch „gyne“) das geflügelte oder, nach Begattung und Flügelabwurf, entflügelte Vollweibchen; eine Ergatomorphe ist ein Tier von typischer Arbeitergestalt; Intermorphe sind bei Ameisen recht häufige Zwischenformen. Alle drei können funktionell Königin, also begattet und fertil, oder aber infertile Arbeiterinnen sein. In der Gruppe der sterilen Arbeiterinnen sind weitere morphologische Differenzierungen möglich, z.B. in Klein- und Großarbeiterinnen oder Soldaten. Sie sollten als Unterkasten bezeichnet werden. Schließlich durchlaufen die einzelnen Individuen etwa bei Bienen und Ameisen einen vom Alter abhängigen Funktionswandel, von Innendienst und Brutpflege zum Furagieren im Außendienst. Auch diese funktionellen Gruppen werden besser nicht etwa „temporäre Kasten“ genannt, sondern direkt als Verhaltens- oder Altersgruppen bezeichnet.

Eine der Kernfragen in der Forschung über soziale Insekten befasst sich mit den Ursachen und Mechanismen der Kastendifferenzierung, mit der Kastendetermination. Aus dem Vorstehenden ist zu erkennen, dass man zwischen einer gestaltlichen Differenzierung (Morphendetermination) und der eigentlichen Kastendetermination, der funktionellen Zuordnung, unterscheiden muss. Die Mehrzahl der Arbeiten über Kastendetermination untersucht die Faktoren für die Entstehung der verschiedenen Morphen. Sehr häufig übernehmen diese zwar die ihrer Gestalt entsprechende Funktion, doch werden zunehmend Beispiele bekannt, wo die Funktion erst später festgelegt wird und durchaus nicht dem morphologischen Erscheinungsbild entsprechen muss.

Hier sind ein paar Bilder zur Verdeutlichung der Kastenunterschiede:


Leptothorax acervorum Gyne.jpg.

Bild 1: Morphe: Gynomorphe (Gyne, entflügeltes Weibchen, falls begattet und Eier legend: Königin) von Leptothorax acervorum in Seitenansicht. V = Stummel des Vorderflügels; H = Stummel des Hinterflügels.


Leptothorax sp. Arbeiterin.jpg.

Bild 2: Morphe: Ergatomorphe (meist unbegattet und nicht Eier legend, Kaste: Arbeiterin) von Leptothorax sp. (noch unbeschriebene Art, nahe L. acervorum) in Seitenansicht: Der Thorax ist gegenüber dem der Gyne deutlich vereinfacht.


Leptothorax sp. Männchen.jpg.

Bild 3: KEINE Kaste: Männchen von Leptothorax sp. (unbeschrieben).


Camponotus Gyne Thorax.jpg.

Bild 4: Entflügelte Gynomorphe („Königin“) von Camponotus ligniperda, Thorax in schräger Seitenansicht (Kopf wäre links). Angezeigt sind einige auffällige Strukturen, die bei der Arbeiterin zumeist fehlen: Pn = das Pronotum (1. Thoraxsegment), an dem unten die Vorderbeine ansetzen. Bei Arbeiterin vorhanden. Mesonotum: Das lange Rückenteil des 2. Thoraxsegments = Mesothorax. Mt: Metanotum, sehr kurzes Rückenteil des 3. Thoraxsegments. Ep = Epinotum, das mit dem Thorax fest verwachsene 1. Hinterleibssegment (auch: Propodeum; Mittelsegment). V - - v = Stummel des Vorderflügels, so wie er beim normalen Flügelabwurf stehen bleibt, sitzt am Mesonotum. < H > = Stummel des Hinterflügels (sitzt am Metanotum).


Die ernährungesbedingte (trophogene) Kastendetermination

Bei den sozialen Hautflüglern und damit auch bei den Ameisen spielen Nahrungsfaktoren während der Larvalentwicklung die wesentliche Rolle für die gestaltliche Ausprägung der Kasten. Dies ist sicher dadurch bedingt, dass die Larven völlig abhängig sind von der Versorgung durch die Arbeiterinnen (oder, während der Koloniegründung, auch durch die Königin).

Nahrungsfaktoren in der Kastendetermination wurden an vielen Beispielen aufgezeigt. Einige seien hier referiert, auch wenn sie Wespen oder Honigbienen betreffen: Dank der ortsfest in den Zellen gelagerten Larven lassen sich diese besser beobachten als bei Ameisen. Die Ergebnise sollten dennoch weitgehend übertragbar sein. Oft entstehen weibliche Geschlechtstiere erst, wenn ein bestimmtes Zahlenverhältnis von pflegenden Arbeiterinnen zu Larven erreicht wird, bei Wespen der Gattung Vespula z.B. ein Verhältnis 1:1. Durch radioaktiv markierte Futtersubstanzen wurde nachgewiesen, dass die Nahrung der Königinnenlarven bei Wespen qualitativ anders als die der Arbeiterinnenlarven ist. Sie erhalten mehr Drüsensekrete und weniger Rohfutter. Dies zeigt sich auch darin, dass der Kotsack, das Meconium, der kleineren Arbeiterinnenlarven größer ist, also mehr unverdauliche Reste enthält, als bei den größeren Königinnenlarven.

Sehr intensiv untersucht wurde naturgemäß die Kastendetermination der Honigbiene. Zwischen Arbeiterin und Königin bestehen gut quantifizierbare morphologische Unterschiede: Die Königin ist größer, hat keine Sammelkörbchen, und ihr Stachel ist nicht mit Widerhäkchen besetzt. Königinnen werden in speziellen Weiselwiegen aufgezogen, das Futter für die Larven wird in die Zellen gespieen, nicht von Mund zu Mund verfüttert. So schien es einfach, die in der Nahrung vorhandenen, kastendeterminierenden Substanzen zu analysieren. Eine Königinnenlarve wird sehr viel öfter gefüttert als eine Arbeiterinnenlarve. Während letztere nur für 3,5 Tage mit Hypopharynx- und Mandibeldrüsensekreten junger Ammenbienen, danach mit Pollen und Honig versorgt wird, erhält die Königinnenlarve einen speziellen Weiselfuttersaft, das gelée royale, über die ganze Entwicklungsdauer hinweg. Entscheidend für die Kastendetermination ist offenbar die Zusammensetzung des Weiselfutters, irgendeine spezifische determinierende Verbindung hat sich nicht nachweisen lassen.

Entsprechend der Vielfalt der Arten sind bei Ameisen recht unterschiedliche Verhältnisse anzutreffen. Nahrungsfaktoren, einschließlich der blastogenen (s.u.), dominieren offenbar auch in dieser Familie das Determinationsgeschehen, doch wurden in Einzelfällen ebenfalls genetische Faktoren nachgewiesen (s.u.). Kompliziert wird die Kastendifferenzierung besonders durch die z.T. sehr lange Entwicklungsdauer der Larven, die sich über ein oder sogar zwei Jahre erstrecken kann.

Wichtige Faktoren für die Entstehung von Jungköniginnen sind u.a. die Größe des Volkes, bei Waldameisen die Aufrechterhaltung einer hohen Nesttemperatur während der Aufzucht, Fütterung der Königinnenlarven mit Drüsensekreten junger, erst einmal überwinterter Arbeiterinnen, oft auch das zeitweise Fehlen der Altköniginnen mit ihrem die Aufzucht neuer Königinnen hemmenden Einfluss. Bei Formica polyctena ziehen sich die Königinnen während der Geschlechtstieraufzucht im Frühjahr in die kühlen Nesttiefen zurück, womit das Volk in dieser Zeit "physiologisch weisellos" ist. Wo Larven ein- oder zweimal überwintern können, etwa bei Leptothorax-Arten, sind sie unter Umständen zweimal dem Einfluss von Jungarbeiterinnen ausgesetzt, was ihre Tendenz zur Königinnenentwicklung stark fördert.

Verschiedene Arbeiten konnten auch bei Ameisen eine erhebliche Beteiligung des Juvenilhormon-Systems aufzeigen. So entwickeln sich aus Eiern einer äußerlich mit JH behandelten Pheidole pallidula-Königin verstärkt Jungköniginnen, während z.B. an die Brut verfüttertes JH nicht diesen Effekt hatte.

Ein Sonderfall ist die so genannte blastogene Determination: Bereits im Ei ist z.B. bei der Waldameise Formica polyctena festgelegt, ob sich eine Larve zur Gynomorphen oder nur zur Arbeiterin entwickeln kann. Bestimmte, kurz nach der Überwinterung abgelegte „Wintereier“ sind etwas größer als die Sommereier, und sie haben im hinteren Eipol ein besonders RNS-reiches Polplasma (RNS = Ribonucleinsäure). Bei Fütterung von Larven aus diesen Eiern mit Labial- und Postpharynxdrüsensekret junger Arbeiterinnen können sie sich zu Jungköniginnen entwickeln, bei schlechter Ernährung entstehen auch aus Wintereiern nur Arbeiterinnen. Offenbar liegt hier eine trophogene (auf Ernährung basierende) Prädisposition der Eier durch bessere Reservestoffeinlagerung bereits im mütterlichen Ovar vor. Sie führt allerdings nur unter optimalen Ernährungsbedingungen für die Larven zur tatsächlichen Entstehung von Jungköniginnen.